Coaching oder Therapie – Welche Unterstützung ist wann sinnvoll?

In Zeiten überwältigender Komplexität haben Menschen ein verstärktes Bedürfnis nach tiefen, orientierenden Gesprächen. Sie brauchen einen sicheren Raum, in dem sie ihre Gedanken zur Disposition stellen, verfeinern und gegebenenfalls korrigieren können. Wer nach einer solchen professionellen Unterstützung sucht, landet in der Regel beim Therapeuten.
Die Folge: Es gibt eine zunehmende Nachfrage an Therapie. Laut dem BARMER Arztreport 2020 suchten im Jahr 2018 etwa 3,22 Millionen Personen in Deutschland psychotherapeutische Hilfe – etwa 41 Prozent mehr als 2009. Doch ist das pauschal der richtige Weg für alle?
Dr. Gerhard Helm, Psychologe, Business Coach und Leiter der Münchner Akademie für Business Coaching, ist überzeugt, dass viele Menschen, die Unterstützung in einer Therapie suchen, in einem Coaching besser aufgehoben wären. Der Grund: „Die große Mehrheit ist nicht krank. Sie steht vor komplexen Lebensfragen, schwierigen Entscheidungen oder beruflichen Herausforderungen.“
Mit diesem Blogbeitrag möchten wir die Unterschiede aufzeigen und denen eine Hilfestellung geben, die vor der Entscheidung „Coaching oder Therapie“ stehen.
Inhaltsverzeichnis:
Die unbekannte Alternative: Coaching oder Therapie?
Im Alltag fallen immer wieder Sätze wie „das hat mir meine Psychologin gesagt“ oder „mittags kann ich nicht, da habe ich Therapie“. Auf der einen Seite ist es gut, dass psychische Störungen mittlerweile weniger stigmatisiert und stattdessen öfter offen thematisiert werden, meint auch Dr. Gerhard Helm. „Aber das Pendel schlägt in eine andere Richtung: Störungen wie ADHS oder PTBS werden förmlich gesucht“, sagt er. Überdiagnostik bzw. „die Diagnoseinflation“ ist in der Psychotherapie ein großes Thema (Quelle: dasgehirn.info).
Eine Ursache dafür ist, dass eine Therapie der bekannte und etablierte Weg ist. Wer einer psychischen Belastung ausgesetzt ist, bekommt eine psychologische Behandlung. Doch dafür braucht es eine Diagnose, denn sonst darf ein Therapeut nicht behandeln – und die Krankenkasse zahlt nicht.
Ein professionelles Coaching wäre eine mögliche Alternative: Ein guter und professioneller Coach hat gelernt, zuzuhören, keine einfachen Ratschläge zu geben und das Denken wertschätzend, aber kritisch zu hinterfragen. Im Dialog hilft er auf der Suche nach den Antworten, die im Augenblick notwendig sind.
Einige sind vielleicht abgeschreckt von Schlagzeilen über Menschen, die sich als Coaches bezeichnen und unter diesem Deckmantel unseriöse Systeme und Beratungen verkaufen. Da der Begriff „Coach“ nicht geschützt ist, gibt es leider viele schwarze Schafe. Doch den meisten ist die Alternative eines professionellen Coachings nicht bewusst – und so fehlt die Option „Coaching oder Therapie“.
Problem der oft fehlenden Frage nach „Coaching oder Therapie“
Die wenigsten Menschen wissen wirklich, was im professionellen Sinn mit Coaching gemeint ist. Viele verstehen unter einem Coach einfach eine andere Form des Beraters – so gibt es unzählige „Fitness-Coaches“ oder „Ernährungs-Coaches“. Andere vermuten hinter dem Begriff Coaching so etwas wie „Therapie light“.
Die tatsächliche Grundidee ist in weiten Kreisen nicht geläufig: die Gesprächsführung eines Coachs als eine Art „Begleiter des eigenen Denkprozesses“ und des „prüfenden Reflektierens“ zu verstehen. Das führt dazu, dass Menschen, die nicht krank sind, bei Therapeuten landen – und so „krankgeschrieben“ werden.
Das Problem dabei ist, dass die Diagnose einer Krankheit die Eigenverantwortung vom Individuum wegnimmt. Statt zu fragen „Was kann ich in dieser Situation tun?“, fragt der Patient nun: „Was erlaubt mir meine Krankheit noch?“ Die Krankheit wird zur Instanz, die Entscheidungen abnimmt. Der Patient wird damit ohnmächtig, sein weiteres Schicksal eigenverantwortlich selbst in die Hand zu nehmen.
Und: Da viele Menschen psychotherapeutische Hilfe suchen, ohne im eigentlichen Sinne „krank“ zu sein, bleiben weniger Therapieplätze, für die, die sie dringend benötigen. Psychologe und Business Coach Dr. Helm ist der Überzeugung: „Psychotherapie sollte denen vorbehalten werden, die wirklich krank sind.“
Coaching oder Therapie: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
„Coaching oder Therapie?“ – wer sich das fragt, sollte sich die Gemeinsamkeiten, aber vor allem die Unterschiede der beiden Felder genauer anschauen:
Sowohl in Coaching- als auch in Therapie-Gesprächen geht es um das Leben des Klienten, seine Probleme und Herausforderungen. Bei der Entscheidung Coaching oder Therapie spielt vor allem die unterschiedliche Grundannahme von Coaches und Therapeuten eine Rolle – und zwar die über den Menschen, der vor ihnen sitzt. Diese lässt sich an drei Punkten festmachen:
1. Unterschied: Coaching und Therapie im Hinblick auf den Klienten
Ein Therapeut muss davon ausgehen, dass eine psychische Störung vorliegt. Ohne Diagnose keine Kassenleistung, ohne Krankheit keine Behandlung. Das System zwingt ihn dazu, seinen Patienten als „gestört“ zu klassifizieren – selbst, wenn dieser „nur“ vor einer schwierigen Lebensentscheidung steht. Durch diese „Störungsbrille“ geht er davon aus, dass sein Gegenüber krank ist und Hilfe braucht, weil er die Krankheit nicht allein bewältigen kann.
Ein Coach hingegen geht immer davon aus, dass er mit einem grundsätzlich gesunden Klienten arbeitet. Dieser ist selbst verantwortlich für sich und sein Leben und somit – mithilfe von Impulsen – fähig, selbst Lösungen für seine Probleme zu entwickeln. In seinen Augen ist sein Gegenüber also nicht defizitär, nicht gestört, nicht behandlungsbedürftig, sondern braucht in einer komplexen Situation Unterstützung beim Nachdenken über sein Problem.
2. Unterschied: Coaching und Therapie aus Sicht der Hilfsform
Es gibt zwei unterschiedliche Formen von Hilfe: „fixing“ und „serving“. Beim „fixing“ löst ein Experte das Problem für jemanden. Ein Therapeut ist tendenziell auf dieser Experten-Seite. Er stellt Fragen, um Informationen zu erhalten und auf deren Basis eine Empfehlung auszusprechen. Er schaut: Was ist das Problem? Wo kommt es her? Wie lässt sich das Problem beheben? Damit findet eine Einsortierung statt: „Das ist das Problem und du musst das machen, damit es besser wird.“
Im Coaching nimmt der Coach seinem Klienten das Problem nicht ab. Für ihn ist ausschließlich der Klient der alleinige Experte für seine Situation – weil nur er alle wirklichen Zusammenhänge in seinem Erfahrungskontext kennen kann. Der Coach begibt sich mit dem Klienten in einen gemeinsamen Suchprozess.
Dabei übernimmt der Coach die Rolle des Nicht-Wissenden. Nach dem Motto „ask, don‘t tell“ stellt er Fragen und gibt keine Lösungen vor. Er fordert wertschätzend heraus, hinterfragt unreflektierte Annahmen und weist auf logische Denkfehler in der Geschichte des Klienten hin. Dies alles führt – im Idealfall – zu der berühmten „Hilfe zur Selbsthilfe“. Damit befindet sich der Coach im Hilfe-Feld „serving“ (im Sinne von „jemandem dienlich sein“).
3. Unterschied: Coaching und Therapie mit Blick auf das Problem
Mit der Idee, dass es ein Problem gibt, das beseitigt werden muss, findet in der Therapie eine Ursachensuche statt. Der Blick geht in die Vergangenheit – verbunden mit einem mechanistischen Weltbild, das für bestimmte Probleme passende Lösungen vorsieht. Dieser klassische Ansatz ist vor allem in tiefenpsychologisch orientierten Verfahren verbreitet.
Coaching dagegen ist vollkommen lösungsorientiert und schaut nicht zurück. Die Ursache spielt keine Rolle; es zählt der Blick nach vorn. Die Lösungen, die der Klient hier mit der Unterstützung des Coachs erarbeitet, sind vollkommen individuell.
Für die Entscheidung „Coaching oder Therapie“ ist wichtig, zu wissen: Es gibt auch Therapieansätze, die von dem mechanistischen Weltbild abweichen und individueller geprägt sind. Beispiele dafür sind die Lösungsfokussierte Kurzzeittherapie oder die Acceptance and Commitment Therapy.
Coaching oder Therapie? – Zu wahrende Grenzen
Coaching kennt Grenzen und benennt diese: Coaches dürfen keine Heilbehandlungen durchführen. In dem Zusammenhang ist es wichtig den Begriff der psychischen Erkrankung einmal zu definieren:
Eine psychische Störung (oder Erkrankung) wird heute als ein Muster von Symptomen verstanden, das sich durch erhebliche Abweichungen im Erleben, Denken, Fühlen oder Verhalten von der gesellschaftlichen oder medizinischen Norm auszeichnet. Diese Abweichungen führen in der Regel zu einem bedeutsamen Leidensdruck und/oder einer Einschränkung der Alltags- und Funktionsfähigkeit des Betroffenen in wichtigen Lebensbereichen. (Quelle: ICD 10, Kapitel V)
Wenn ein Klient also zum Beispiel unter Depressionen oder einer Alkoholabhängigkeit leidet, kann dieser Mensch ins Coaching kommen, diese Themen müssen aber ausgeklammert werden. „Coaches müssen die Diagnose dem Therapeuten überlassen, sonst überschreiten sie die Grenze und behandeln eine Krankheit“, erklärt Dr. Helm.
Vorsicht sei außerdem geboten, wenn es um Suizidalität geht. „Vor allem Business Coaches müssen dafür sensibel sein, weil unsere typischen Klienten – Männer im mittleren bis fortgeschrittenen Alter – zur größten Risikogruppe für Suizid gehören“, weiß Dr. Helm. Man müsse also Sensoren dafür haben und wissen, wie man in so einem Fall vorgeht. Im Zweifel rät er: „Besser einmal zu viel als zu wenig auf psychotherapeutische Hilfe verweisen.“
Coaches lernen, die Grenzen ihres Handels zu erkennen. Sie brauchen nicht zu diagnostizieren, um eine klare Abgrenzung zu ihrer Arbeit ziehen zu können. Burn-out ist übrigens keine klassifizierte Krankheit, sondern ein „Berufsphänomen“ oder „Syndrom“ (siehe WHO) – das ist also ein Thema, um das es in einem Coaching gehen kann.
Therapeuten sind darin geschult, Anzeichen psychischer Erkrankungen zu erkennen. Das macht sie wertvoll für wirklich schwere Fälle. Aber es bedeutet leider auch, dass sie tendenziell eher eine Störung diagnostizieren, wo ein Coach eine Entwicklungschance sehen würde. Ein Therapeut wird also tendenziell kaum jemandem zu einem Coaching raten.
Steht jemand vor der Frage, ob Coaching oder Therapie die richtige Wahl ist, muss diese Person vor allem ehrlich mit sich selbst sein.
Fazit: Coaching oder Therapie – was ist wann sinnvoll?
Auch wenn Coaching und Therapie nicht immer ganz trennscharf zu sein scheinen, ist die Unterscheidung wichtig – für Coaches, Therapeuten und Klienten bzw. Patienten: Die Psychotherapie kümmert sich um psychisch Kranke, Coaching hingegen um fragende und ratlose Gesunde.
Es gibt sehr ernsthafte psychische Zustände – schwere Depressionen, Psychosen, Suizidalität, schwere Traumafolgestörungen –, die das Label „krank“ und den damit verbundenen Schutz und die Unterstützung nicht nur verdienen, sondern dringend brauchen. Therapeuten sind dazu ausgebildet, ihnen zu helfen.
Aber die große Mehrheit derer, die heute in Therapie gehen, fällt nicht in diese Kategorie. Sie sind nicht krank. Sie stehen vor Lebensfragen, Entscheidungen, Krisen. Für sie ist es kein Zeichen von Schwäche oder Krankheit, sich Unterstützung zu suchen – es ist ein Zeichen von Klugheit. Aber sie brauchen keinen Therapeuten. Sie brauchen einen Sparringspartner.
Coaching ist nicht für jeden die Antwort und Therapie ist nicht per se schlecht. Aber wir brauchen eine ehrliche Diskussion darüber, wer wirklich krank ist und wer „nur“ vor den Herausforderungen eines komplexen Lebens steht.
Bei der Frage „Coaching oder Therapie?“ stellt ein professioneller Coach eine sinnvolle Alternative für diejenigen dar, die keine Behandlung brauchen, sondern einen Gesprächspartner auf Augenhöhe. Denn nicht jeder, der leidet, ist krank. Manchmal ist Leiden einfach die angemessene Reaktion auf eine schwierige Situation. Und manchmal ist die Lösung nicht eine Diagnose – sondern ein gutes Gespräch.
Wenn Sie nach diesem Beitrag denken, dass bei der Frage „Coaching oder Therapie?“ ein Coaching die richtige Wahl für Sie ist, melden Sie sich gerne! Wir helfen Ihnen bei der Suche nach dem passenden Coach. Sollten Sie sich noch nicht ganz sicher sein, unterstützen wir Sie auch bei Ihrer Entscheidungsfindung.
