Persönlichkeit schlägt Perfektion

Persönlichkeit schlägt Perfektion

Warum echte Karrieren heute anders entstehen

Charisma: Was heute wirklich zählt

Noch immer schreiben sich viele Bewerbende die Finger wund an perfekten Lebensläufen – dabei ist längst klar: Es sind nicht die fehlerfreien Karrierestationen, die überzeugen. Es ist die Persönlichkeit dahinter. Doch was genau meinen wir, wenn wir von Persönlichkeit sprechen?

In der Psychologie versteht man unter Persönlichkeit die relativ stabilen Eigenschaften, die das Erleben und Verhalten eines Menschen prägen. Dazu gehören Charakterzüge wie Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und emotionale Stabilität – die sogenannten „Big Five“. Charakter dagegen wird oft enger gefasst: Er beschreibt in vielen Definitionen vor allem die moralischen und ethischen Qualitäten eines Menschen – also ob jemand als integer, fair oder mutig gilt. Im Alltagsgebrauch verschwimmen diese Begriffe jedoch oft: Persönlichkeit wird als bunter Strauß von Eigenschaften verstanden, während Charakter meist auf die „innere Haltung“ zielt.

Für Unternehmen, Führungskräfte und Personaler ist beides relevant: Sie achten auf die Passung der Persönlichkeit zum Team und zur Kultur (Stichwort: „Cultural Fit“) und auf den Charakter, wenn es darum geht, Verantwortung, Verlässlichkeit und Führungsreife einzuschätzen. Wenn aber Persönlichkeit so entscheidend ist – dann stellt sich natürlich die Frage: kann man sie trainieren? Ja, teilweise. Intelligenz etwa – sicher auch ein wichtes Element der Persönlichkeit – ist zu einem erheblichen Teil entwickelbar. Moderne pädagogische Theorien, wie etwa das Konzept der Multiplen Intelligenzen von Howard Gardner, zeigen, dass es viele Formen von Intelligenz gibt: sprachliche, soziale, emotionale, analytische, kreative – und dass Übung, Selbstreflexion und Erfahrung eine enorme Rolle in ihrer Entfaltung spielen (vgl. Gardner, Frames of Mind, 1983). Eloquenz und Authentizität – auch Teil der Persönlichkeit eines Menschen – lassen sich ebenfalls trainieren:

  • Wer regelmäßig liest und schreibt, erweitert seinen Wortschatz und sein Ausdrucksvermögen.
  • Wer sich im Spiegel oder in vertrauten Runden übt, persönliche Geschichten klar und lebendig zu erzählen, entwickelt Charisma.
  • Wer über sich selbst nachdenkt – am besten schriftlich, etwa in einem Erfolgsjournal oder durch kurze Selbstreflexionen –, stärkt seine Authentizität.
  • Und wer sich bewusst in neuen Situationen ausprobiert und mit kleinen Herausforderungen wächst, gewinnt jene Gelassenheit, die im Berufsleben unverzichtbar ist.

Kurz gesagt: Persönlichkeit ist nicht nur Schicksal. Sie ist auch Gestaltung. Wer bereit ist, bewusst an seiner Ausdruckskraft, seiner Selbstwahrnehmung und seiner inneren Haltung zu arbeiten, wird in Zukunft nicht nur mit Fachkompetenz punkten – sondern echte Wirkung entfalten.

Warum falsche Bescheidenheit uns bremst – und Buzzwords nicht helfen

Viele Berufstätige scheuen sich davor, ihre eigenen, persönlichen Stärken sichtbar zu machen – aus Angst, als Angeber oder Selbstdarsteller dazustehen. Diese Angst ist menschlich und tief verwurzelt: Studien der Sozialpsychologie zeigen, dass wir soziale Zurückweisung weit stärker fürchten als sachliches Scheitern. Wer sich in den Vordergrund stellt, riskiert Ablehnung – und bleibt deshalb lieber in Deckung. Doch diese Deckung kann im Berufsleben zum Bremsklotz werden: Sichtbarkeit entscheidet über Einfluss, Karrierewege und Gestaltungsspielräume.

Gerade heute ist diese Gratwanderung schwerer geworden, denn die Businesswelt wimmelt von Buzzwords. Kaum ein Bewerbungsgespräch oder Unternehmensleitbild kommt noch ohne Schlagworte wie Flexibilität, Agilität, Change-Management oder Resilienz aus. Problematisch wird es, wenn diese Begriffe zu leerem Vokabular verkommen. Worte wie „Change-Kompetenz“ oder „Transformationserfahrung“ sagen wenig über die wahren Fähigkeiten eines Menschen – sie klingen gut, bleiben aber oft blutleer.

Storytelling bietet hier eine kraftvolle Alternative: Statt zu behaupten, „ich bin wandlungsfähig“, erzählen überzeugende Persönlichkeiten, wie sie sich in einem konkreten Projekt neuen Bedingungen angepasst und daraus echte Innovation ermöglicht haben. Sie liefern Erlebnisse statt Etiketten. Psychologisch gesehen aktiviert eine gut erzählte Geschichte mehr neuronale Netzwerke im Gehirn der Zuhörenden als jede abstrakte Beschreibung (vgl. Paul Zak, Why Your Brain Loves Good Storytelling, 2015). Geschichten erzeugen Emotionen – und Emotionen verankern Erinnerungen. Erinnerungen prägen, wer wir sind.

Die feine Grenze:

  • Selbstdarstellung beginnt dort, wo man Begriffe stapelt, Superlative häuft und das eigene Bild aufpoliert, ohne Substanz zu liefern.
  • Authentizität entsteht dort, wo man ehrlich konkrete Erfahrungen schildert, inklusive Herausforderungen, Lernkurven und vielleicht auch kleinen Fehlern.

Wer etwa sagt: „In meinem letzten Projekt habe ich gemerkt, wie schwer es ist, echte Veränderung zu verankern. Erst als ich angefangen habe, täglich kurze Feedbackrunden einzubauen, kam das Team wirklich ins Mitgestalten.“ – zeigt Lernfähigkeit, Reflexion und Führungskompetenz, ohne ein einziges Buzzword bemühen zu müssen. In einer Arbeitswelt, die Echtheit sucht und trotzdem Geschwindigkeit verlangt, wird nicht derjenige gewinnen, der die meisten Schlagworte beherrscht. Sondern der, der seine Entwicklung erzählen kann – auf eine Art, die berührt und im Gedächtnis bleibt.

Warum Werte und Sinn die wahre Grundlage von Erfolg sind

Es geht um Persönlichkeit, Charisma, Unmittelbarkeit. Wer also tiefer blickt, stößt auf eine Denkweise, die viel älter ist als jeder aktuelle Hype – und auf einen Mann, dessen Biografie die Kraft dieser Idee wie kaum eine andere verkörpert: Viktor E. Frankl. Frankl, Neurologe, Psychiater und Begründer der Logotherapie, überlebte mehrere Konzentrationslager. Er verlor fast seine gesamte Familie, doch nicht seinen Glauben an die Sinnhaftigkeit menschlichen Lebens. Sein berühmtestes Werk, „Trotzdem Ja zum Leben sagen“, entstand aus der Überzeugung, dass nicht Erfolg oder Glück, sondern der gefundene Sinn die tragende Säule der menschlichen Existenz ist. Nicht wir, so Frankl, seien es, die dem Leben Fragen stellen – das Leben selbst konfrontiert uns mit Aufgaben, auf die wir antworten müssen. Diese Haltung prägt bis heute moderne Ansätze der Persönlichkeitsentwicklung und Karrieregestaltung. Arbeit wird in diesem Verständnis nicht zur bloßen Erwerbsquelle, sondern zum Resonanzraum für Sinnstiftung. Wer seinen Beruf lediglich als Pflichtübung begreift, verpasst die Chance, durch sein Tun eine tiefere Bedeutung zu erfahren – und auch aus Krisen gestärkt hervorzugehen.

Doch Sinn fällt nicht vom Himmel. Er wird erarbeitet, entdeckt, erschlossen – oft an den Bruchstellen des eigenen Lebenslaufes. Es reicht nicht aus, auf den großen Knall zu warten, auf die eine Erleuchtung, die plötzlich alles erklärt. Viel eher entsteht Sinn schleichend: in Momenten der echten Begeisterung, in Aufgaben, die fordern und erfüllen, in Entscheidungen, die Mut verlangen.

Um diesem inneren Kompass näherzukommen, genügt es selten, allein zu reflektieren. Wer auf externe Sparringspartner setzt – sei es durch professionelles Coaching oder durch Austausch mit Menschen außerhalb des eigenen Unternehmens –, öffnet sich neuen Blickwinkeln. Gerade unabhängiges Feedback schützt davor, sich in innerbetrieblichen Bestätigungsschleifen zu verlieren, und ermöglicht eine echte Weiterentwicklung der Persönlichkeit. Denn Persönlichkeitsentwicklung ist stets auch Karriereentwicklung.

Wer Sinn sucht, lernt zugleich Gelassenheit. Denn nach Frankl ist es nicht unsere Aufgabe, jede Etappe unseres Lebens zu kontrollieren. Es genügt, wach zu bleiben für die Fragen und komplexen Herausforderungen, die uns begegnen, und die eigene Antwort mutig zu gestalten – auch wenn sie sich mit der Zeit verändern mag. Im Coaching sprechen wir hier von Responsibility – der Fähigkeit zu antworten (ability to respond) –, einem zentralen Ausdruck innerer Reife. Sinn ist keine fixe Größe, sondern ein lebendiges Geflecht aus Entscheidungen, Erfahrungen und Werten, das sich mit jeder neuen Lebensphase weiterspinnt. Derjenige, der diese Dynamik annimmt, muss nicht alles von Anfang an wissen. Es reicht, bereit zu sein, die Fragen des Lebens ernst zu nehmen – und mit einer eigenen Handschrift zu beantworten. So wird aus einer Berufswahl eine Berufung und aus einer Karriere eine Erzählung, die Bestand hat. Und dann? Klappt es auch mit dem nächsten Bewerbungsgespräch.